Olten - Downtown Switzerland
«Wir ziehen um, nach Olten.»
Ich verschluckte mich, als ich diese Worte hörte. «Wie nach Olten?», fragte ich ungläubig. «Ja, Thomas hat einen Job in Bern bekommen und ich bin nach wie vor happy mit meiner Stelle in Zürich. Eine halbe Stunde nach Zürich, eine halbe Stunde nach Bern. Wir werden Oltener.» Sie lächelte, prostete mir theatralisch zu und schien es sichtlich zu geniessen, mich geschockt zu haben.
Ich konnte es kaum glauben: Lea zieht nach Olten. Lea, meine Sandkastenfreundin, die schon mit 10 irgendwie cool war, der Bern mit 16 zu klein wurde, die Anfang 20 nach Zürich umzog, studierte und trotz Weltreise, Festivals in England und einer On-off-Beziehung mit einem neurotischen Musiker bei einer Wirtschaftskanzlei Karriere machte. Ich schaute auf ihr halb leeres Glas Café Freddo und dachte mir, den kannst du in Olten dann gleich gegen einen Café Crème eintauschen.
Jeden Tag fahren 300 000 Menschen in 1000 Zügen durch Olten. Die wenigsten von ihnen kämen auf die Idee, durch die Bahnhofsunterführung zur Aare zu laufen und sich die Stadt anzuschauen. Wie viele Schweizer kannte auch ich lange Zeit nur den Bahnhof. Aufgespannt zwischen zwölf Perrons, weiss die imposante Glas-Stahl-Konstruktion zu beeindrucken. Echte Bähnler wissen natürlich, dass in Olten der Nullpunktstein der SBB liegt und im legendären Bahnhofbuffet der Schweizer Alpen-Club gegründet wurde. Hier traf sich auch die «Gruppe Olten», ein Schriftstellerbund, dem unter anderem Franz Hohler angehörte. Bis heute bleibt Olten eine Dichter- und Literaturstadt. Alex Capus und Pedro Lenz wohnen hier, Peter Bichsel ist in Olten aufgewachsen.
Für die meisten Schweizer ist Olten aber nicht ein literarischer, sondern ein verkehrstechnischer Knotenpunkt. Olten ist das Drehkreuz der Schweiz. Egal ob Zürich, Basel, Bern oder Luzern – ab Olten dauert es in keine dieser Städte länger als eine halbe Stunde. Die zentrale Lage im Herzen des Mittellands ist der offensichtlichste Grund in Olten zu wohnen. Und das tun immer mehr Menschen. Seit ein paar Jahren wächst die Einwohnerzahl. Selbst die umstrittene Gross-Überbauung Olten Südwest ist ein Erfolg.
Ihren Umzug nach Olten haben Lea und Thomas keine Sekunde bereut. Sie wohnen in der Nähe der Altstadt in einem eher unscheinbaren Haus. Prunkstück der Wohnung bildet eine riesige Dachterrasse mit der Art Aussicht, bei der Makler und Hoteliers ins Schwärmen kommen. Wir grillieren Würste und stossen auf den lauen Sommerabend an. «Was ist denn an Olten nun so cool ausser dieser Terrasse?», will ich von den beiden wissen. «Die Aare und die Badi», meint Lea, «die sympathischen Beizen und die Konzerte», ergänzt Thomas. «Das kann ich aber alles auch in Bern haben», kontere ich. «Ja, aber hier ist es anders. Hier bist du auch als Zürcher willkommen.»
Später schauen wir noch im goldenen Gockel vorbei. Das Coq d’Or hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der beliebtesten Konzert- und Kulturlokale der Stadt gemausert. Die Stimmung ist gut, das Bier kalt und billig, im mit Zeitungen tapezierten Fumoir treffen sich die Raucher. Vielleicht ist es das gemischte Publikum, vielleicht der Geruch eines Joints, der in der Luft liegt. Der Ort erinnert ans Sous le Pont in der Berner Reithalle. Aber anders als in der Hauptstadt drehen sich die Gespräche nicht um Politik und Kapitalismus, sondern über die Band auf der Bühne und über Olten selbst. Oder wie es die beiden Oltener Mirko und Andrin ironisch auf den Punkt bringen: «Oute esch dr Mettuponkt vo dr Wäut, egau wie du de Globus dräisch, Oute esch emmer i dr Metti.»